Südgrönland
Nach vier Tagen Überfahrt und 660 SM entdecken wir zwei Wochen lang Südgrönland.
Mit der Überfahrt beginnt ein weiteres Abenteuer. Dies nicht unbedingt wegen der Dauer, aber es sind die aktuellen Tiefdruckgebiete mit ordentlich Wind und Welle, die Respekt einflößen. Hinzu kommt, dass wir in einem weniger erschlossenen Gebiet mit ständig wechselnder Eissituation unterwegs sind. Dennoch starten wir vor allem mit Vorfreude auf das, was kommt. Was am Ende zählt, sind unsere Erfahrungen und wie wir mit dem Erlebten umgehen.
Wie immer ist der erste Tag etwas mühsam, da sich der Schlaf-Wach-Rhythmus noch nicht eingestellt hat. Außerdem wird es nachts wieder dunkel und eine raue See im Dunkeln wirkt noch etwas bedrohlicher. Es bleibt zunächst anstrengend mit Wind und Wellen. Am dritten Tag beruhigen sich die Verhältnisse und mit Vorwindkurs läuft es sehr gut. Dazu kommt ein sonniger Tag. Unser Rhythmus hat sich eingespielt. Wir sind ruhig und gespannt, wie die Eissituation um die Einfahrt vom Prins Christians Sund sein wird. Alle sechs Stunden müssen wir nun einen Positionsreport an die Greenland Coastguard senden. Nach einer Motorphase geht es mit gutem Segelwind Richtung Küste. Die Sicht at sich etwas verschlechtert, aber die ersten Eisbrocken sind bei ruhiger See gut zu erkennen. Ab 20 SM vor der Küste werden dann auch größere Eisbrocken schon auf dem Radar sichtbar.
Gerne hätten wir noch einen Ankerplatz an der Südostseite mitgenommen, aber ein neuer Sturm um die Südspitze zwingt uns, direkt in den Prins Christians Sund (oder Ikerasassuaq in der Landessprache) weiterzufahren. Nach vier Tagen haben wir die 660 SM geschafft. Wir waren schnell unterwegs! Glücklich und erstaunlich fit laufen wir in den Sund ein. An der ersten Anlegemöglichkeit, einer alten Wetterstation, liegt bereits ein Segelboot. Der Platz ist sehr eng und wenig einladend bei den gegenwärtigen Bedingungen. Wir fahren weitere 20 SM durch den Sund zum nächsten Ankerplatz. Uns erwartet eine atemberaubende Landschaft mit steilen Felsplatten, beeindruckenden Bergmassiven, Gletscherzungen bis ins Wasser und Eisbergen in verschiedenen Größen, Blautönen und Formen. Lange sind wir allein unterwegs, bis uns ein Segler entgegenkommt. Wegen des aufkommenden Sturms sind wir froh, dass wir in der geschützten Ankerbucht (Niaqonaq) ankern können. Auch hier spüren wir die Böen und die Strömung, aber unser Anker hält. Jetzt heißt es, sich auf die neuen Bedingungen einzustellen: Werden die vorbeiziehenden Eisberge in unsere Bucht treiben? Das Ankern erhält eine neue Dimension.
Die ersten Tage in Grönland sind sehr angenehm. Ausschlafen, gut frühstücken, die üblichen Kontrollen und kleinere Reparaturen nach der Überfahrt, die Feinplanung unserer Grönlandzeit, die Verwertung der frischen Produkte und immer wieder die Freude über diesen grandiosen Ort. Es ist das langsame Ankommen nach intensiven Tagen. An einem sonnigen Tag können wir uns nicht satt sehen an Bergen und Eis. Wir fahren durch eine Nebelbank und kurz vor unserem Ziel wird ein Felsmassiv immer deutlicher. Durch einen engen Felseingang erreichen wir den Naturhafen Aappilattog - ein Dorf mit 100 Einwohnern. Bunte, einfache Häuser, eingerahmt von einer grandiosen Kulisse. Wir treffen auf sehr freundliche Menschen. Die Fischfabrik wurde geschlossen. Was wird nun aus den Menschen? Das Versorgungsschiff war gestern da und kommt erst in zwei Wochen wieder (wenn es denn kommt...), also dürfen wir am Holzsteg liegen. Wir erfahren, dass heute die Einschulung gefeiert wird. Am Nachmittag gibt es Kaffee und Kuchen. Abends hören wir Gesang und sehen ein kleines Feuerwerk. Am Steg kaufen wir ein Amulett- als Andenken an einen wunderbaren Ort mit ungewisser Zukunft.
Wir fahren weiter in den Kangkitsoq Fjord und passieren einige wunderschöne Eisberge. Der Fjord wird von hohen Felsmassiven eingerahmt und überall kommen Gletscherzungen herunter. Ein perfekter Ankerplatz am Ende des Fjords ist der Ausgangspunkt für unsere erste Landexkursion. Es wimmelt nur so von kleinen Fliegen und Mücken. Ausgerüstet mit Mückenschutz, Angel und Gewehr gehen wir an Land. Da hier im Süden vor einem Monat ein Eisbär erschossen wurde, sind wir auf der Hut. Glücklicherweise finden wir nur Pilze. Im Fluss gäbe es zwar Forellen oder Lachse, aber wir brechen die Angeltour erfolglos ab. Nach sorgfältiger Pilzbestimmung beschließen wir, am nächsten Tag noch einmal an Land zu gehen und kehren mit einer Beute von über 4 kg an Bord zurück.
Der ausgelegte Hummerkorb bringt für Gregor wieder Wellhornschnecken aus der Tiefe. Wir segeln mit Raumschot auf den nächsten Ankerplatz (Stordalens Havn) zu, trauen ihm aber wegen Untiefen nicht und verlassen Ikerasassuaq. Vorbei an riesigen Eisbergen erreichen wir den Ankerplatz Ikigait. Außerhalb der Bucht liegen ebenfalls sehr grosse Eisberge, die zum Glück auf Grund gelaufen sind und sich nicht bewegen. Bei einem kurzen Landgang besichtigen wir eine Wikingersiedlung.
Unter Motor fahren wir einen langen Schlag in den Tasermiutfjord. Von weitem sehen wir Walfontänen - später nehmen wir nur den Geruch am Ankerplatz wahr - wir sehen sie nicht. Der eisfreie und breite Fjord wäre prädestiniert zum Segeln. Leider haben wir keinen Wind. Die Temperaturen werden angenehmer, als wir weiter in den Fjord fahren. Wir wandern an einem See mit Sandstrand und blicken auf die Berge mit Gletschern. Die Natur ist einfach gigantisch. Dabei befreien wir heldenhaft ein Schaf aus einem Zaungeflecht, in dem es sich verfangen hat. Als weitere gute Tat retten wir später am Abend einen Rollator, der sich in Nanortalik verselbstständigt hat und bei unserem Abendspaziergang die Straße hinunterrollt. Nach einer Woche Grönland liegen wir hier in der südlichsten Stadt (Dorf?) am Steg. Es tut gut, wieder ein paar Leute zu treffen und die riesigen Eisberge aus sicherer Entfernung zu beobachten. Wir genießen es doppelt, denn heute scheint “gefühlt” zum ersten Mal richtig die Sonne und es ist wärmer als sonst.
Wir haben noch ein paar Tage in Grönland geplant. Dennoch beginnen wir die Überfahrt nach Kanada vorzubereiten und das Wetter zu verfolgen. Dazu beobachten wir Hurrikan Ernesto aufmerksam, mit seinem Verlauf um Nova Scotia und Neufundland.
In der Zwischenzeit gehen wir in Uunartoq in das großartigste Naturschwimmbad, das wir je besucht haben. Auf dem Weg nach Uunartoq fahren wir wieder an beeindruckenden Eisbergen vorbei, die bei Sonnenschein einfach noch schöner sind. Wir setzen sogar die Segel. Kaum angekommen, heißt es: Dinghy bereit für Landgang mit Hot Pot. Wir sind allein, hocken in 37 Grad warmem Wasser und blicken auf riesige Eisberge und in der zweiten Reihe auf eine wunderschöne Berglandschaft. Es ist Mitte August und bei angenehmen Temperaturen und Sonnenschein kommt Sommerfeeling auf. Das setzt sich auch am nächsten Tag in der Ortschaft Alluitsup Pa fort. Wir ankern in der Hafeneinfahrt zwischen flachen Granitfelsen. Das Ambiente erinnert ein wenig an südliche Länder oder die norwegischen Schären. An Land treffen wir zunächst auf eine Art Geisterstadt. Auch hier wurde die Fischfabrik geschlossen, die Gebäude sehen sehr heruntergekommen aus und die ersten Häuser stehen leer. Doch dann schlängelt sich der Ort um ein paar kleine Buchten und wir treffen Menschen, sehen einen geöffneten Supermarkt und eine neue Kirche. Trotzdem ist es etwas bedrückend zu sehen, wie hier gelebt wird. Vor den Häusern wird Vieles gesammelt. Es sieht aus wie kleine Schrottplätze. Wir treffen zwei junge Männer, die uns von ihrem Start-up Unternehmen erzählen: Sie haben die Fischfabrik gekauft und wollen ins Algengeschäft einsteigen. Eine deutsche Firma hat bereits einen Test-Auftrag erteilt. Wir hoffen, dass das Algengeschäft dem Ort wieder eine Daseinsgrundlage gibt.
Unsere letzten Tage in Grönland verbringen wir in Qaqortoq, der grössten Stadt in Südgrönland. Wir nehmen noch ein wenig «Grossstadt-Feeling» mit und machen uns parat für die Überfahrt. Für den 20. August checken wir auf der Polizeistation aus und segeln über die Labrador See los nach Kanada!
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